Draussen ist es nass, kalt oder nasskalt, ich sitze krank zuhause und langweile mich. Perfekter Moment, um in Erinnerungen an bessere Zeiten zu schwelgen, als alles besser war. Also so vor 3 Monaten, als Sommer/Herbst war und ich Fahrrad fahren konnte
Deswegen jetzt ein Erfahrungsbericht (badumtss)
Diesen Sommer war ich mit Frau bei Mittenwald im Urlaub, sehr schöne Gegend, wenn man Wandern und auf Waldautobahnen rumdüsen und die Aussicht geniessen möchte. Der Plan war, in der zweiten Woche die Familie in Oberbozen in Südtirol zu treffen. Nach meiner Erfahrung beim Säntis Classic wusste ich, dass ich so 130km/1700hm schaffen kann und fragte mich seitdem, was die nächste grosse Tour sein könnte. So reifte in mir der Gedanke, hey, ich könnte doch zumindest einen Teil der Tour von Mittenwald über den Brenner nach Oberbozen mit dem Fahrrad fahren, mit meiner Frau im Auto quasi als Besenwagen. Nach viel komoot-Zeit kristallisierte sich Innsbruck ein guter Startpunkt heraus und die Vorbereitungen konnten beginnen. Weil ich mich ja komplett selber versorgen musste, entschied ich mich für cliff bars, zum ersten Mal überhaupt zwei Gele, und mein übliches Kohlehydrat/Salz-Pulver für die Trinkflasche. Wie immer war ich am Vorabend extrem nervös, konnte schlecht schlafen, aber so oder so sass ich ein paar Stunden später nach grossem Frühstück im Regio nach Innsbruck, wo es mich am Bahnhof gleich fast aufs Maul legte, weil ich eine Tramschiene übersehen hatte. Ging gut los. Von Innsbruck aus umgeht die alte Römerstrasse einen Grossteil des Verkehrs und schlängelt sich über einige Plateaus und leider auch Senken über 40km die 1000 Brutto-Höhenmeter zur Passhöhe hoch, die Aussicht und das Wetter waren ideal, leicht bewölkt und nicht zu warm.
Eigentlich wollte ich nach den knackigen letzten 3km vor der Passhöhe oben erst einmal genüsslich Pause machen, aber vom Rad aus ist es dort oben noch hässlicher als aus dem Autofenster. Also schnell den höchsten Punkt meiner Reise und Radlkarriere dokumentiert (1370m)
und weiter gings. Es kamen ohne Übertreibung 40 der schönsten Radlilometer meines Lebens, denn es ging stetig, aber nicht zu steil bergab, sodass ich auf einer fast durchgängigen Fahrradstrasse die sich langsam verändernde Berglandschaft Südtirols geniessen konnte, bis ich in Sterzing ankam.
Ab dort ging es beinahe ebenerdig den toll ausgebauten Eisack/Adige-Radweg entlang, über Brixen, Franzensfeste und Klausen, teils auf Strasse, teils durch die Apfelplantagen.
Ab Brixen spürte ich doch, dass ich schon einige Stunden bei immer wärmer werdendem Wetter hinter mir hatte. Ich konnte problemlos eine halbe Pizza und einen knappen Liter Wasser aus einem der vielen Brunnen reinhauen und fühlte mich trotzdem nicht satt und voll. Mein, äh, Perineum meldete sich auch langsam zu Wort. Bei Kilometer 111 musste ich eine Entscheidung treffen, denn das dicke Ende kam erst: Ich wollte nicht nach Bozen (Höhe 250m), sondern nach Oberbozen (Höhe 1250m). Vielleicht war es war es das Koffeingel, welches gerade richtig kickte, wahrscheinlich vor allem meine Sturheit, aber 2 Minuten später sass ich nicht im Auto/Besenwagen, sondern war auf der ersten Rampe und realisierte: Ich hatte auf dem Wahoo aktiviert, das bei jedem etwas längeren Anstieg nicht nur verbleibende Höhenmeter, Distanz etc, sondern auch die kalkulierte Restzeit angezeigt. Natürlich kann man es sich auch einfach ausrechnen, aber als ich sah, dass noch zwei Stunden Klettern vor mir standen, wurde es mit der Motivation sehr, sehr schwer. Es waren über 30 Grad, ich hatte knapp 120k und 1500hm in den Beinen. 1000 Höhenmeter auf den letzten 20 Kilometern fehlten, unter anderem diesen beiden Rampen:
Ich überlegte kurz, mir den extra gekaufen Koffeinbooster (170 mg Koffein, also so 2-3 Tassen) reinzuhauen. Aber nach 6 Stunden Energieriegel, Gels und de facto Zuckerwasser traute ich meinem Magen nicht mehr so ganz. Und das letzte, was ich nun brauchte, war wilde Scheisserei am Schlussanstieg
Ich weiss nicht, wie ich die Kilometer hinter mich gebracht habe. Ich war komplett am Ende, musste teilweise alle 1-2 Kilometer absteigen, weil es einfach nicht mehr ging. An der zweiten Rampe hatte ich einen geschmeidigen Schnitt von von 6.8 km/h, auch der Gesamtschnitt war dadurch etwas deprimierend Auch als endlich oben auf dem Rittner Plateau war, kamen 2, 3 fiese Kicker mit 9%-Abschnitten. Als ich endlich, endlich am Hotel ankam, meinte meine Mutter, ich sähe aus wie mein eigener Geist. Also wenn Geister bei 30 Grad fast nicht stehen können und anfangen zu zittern. Und so fühlte ich mich auch am Abend und nächsten Tag. Das war insgesamt sicher der härteste Tag im Sattel bisher. Aber ich habs durchgezogen, und darauf bin ich stolz. Die headline stats sind hier (keine Ahnung, was mit der Temperaturanzeige los ist), falls sich das jemand auf Strava angucken oder Strava-Freund werden will.