I did a thing. Ich kann leider mit keinem 300 km-Epos dienen und ein richtiges Rennen war es auch nicht. Aber ich bin das erste, äh, organisierte Volksradevent meines Lebens gefahren, den Säntis Classic. Als ich Anfang des Jahres im Internet herumguckte, fiel mir das sofort auf. Volksfestatmosphäre, halbgesperrte Strecke, mehrere tausend Leute am Start, fünf Leistungsklassen, in welche man sich nach eigener Einschätzung sortieren konnte.
Im Wesentlichen fährt man aus der Ebene (430m) in einer grossen Schleife hoch zur Schwägalp (1300m) unterhalb des Berges Säntis und wieder zurück. Der Hauptanstieg beinhaltet 530 hm mit im Schnitt 7-9 Prozent Steigung, dazwischen ein kleines Flachstück. Insgesamt 130 km. 1800 hm.
Mein Maximum bis dahin waren 105 km und 1600 hm, das auch nur mit echt hängender Zunge und 22 km/h Schnitt. Trotzdem angemeldet, Klasse 22-25 Schnitt. Seitdem habe ich „trainiert“, also geschaut, dass ich pro Woche eine kurze, intensive und eine lange Fahrt unterkriege. Ich bin von 7 bis 7 ausser Haus, blieb also nur das Wochenende, und da war diesen Frühling das Wetter Mist. Naja, die Nervosität baute sich langsam auf, aber zumindest ein paar 100km-Fahrten mit teils ordentlichen Höhenmetern waren fitnessmässig schon drin. Dann bekam ich auf einmal Probleme mit dem Sattel, immer so bei 90 km. Bikefitting behob es nur teilweise. Mein Plan? Durchbeissen und bei km 80 Ibuprofen schlucken
Aus diversen Gründen ging 2 Wochen gar kein Training mehr. Das Wetter wurde heisser und heisser und ich nervös. Am Abend vor dem Rennen fleissig alles bereitgelegt, früh ins Bett - und konnte nicht schlafen. Bis 3 Uhr morgens nicht. Scheiss Insomnia. Komplett demoralisiert wühlte ich mich um 7 aus dem Bett und machte mich auf den Weg. Vor Ort direkt orientierungslos rumgegurkt, und verpasste durch die langwierige Anmeldung prompt meinen Startblock. Ich sollte einfach mit der nächsten Gruppe loszufahren, das waren allerdings die mit anvisiertem Schnitt 19-22 km/h. Natürlich direkt taxiert, wer da sonst noch so unterwegs war, und ohne gemein sein zu wollen, naja, die Vollblutathleten waren es eher nicht. Nachdem wir den Alphornbläsern zugehört hatten, ging es dann gegen 9.30 endlich los - es waren schliesslich 32 Grad angesagt.
Nach 10 Minuten war mir klar, dass ich nicht bei denen bleiben konnte, sonst würde ich ewig fahren. Auf die nächstschnellere Gruppe hatte ich wiederum fast eine halbe Stunde Rückstand. Was also tun? Glück haben! Ich fand eine nette Fünfergruppe aus Karlsruhe, die sich für die langsame Gruppe gemeldet hatten, aber genau mein Tempo fuhren. Mit denen verbrachte ich dann den Rest des Tages. Fuhren freundlich plauschend 30 km, bis es mich unsanft aufs Maul legte. Mein Wahoo mit runtergeladener Strecke sagte geradeaus, der Rennwegweiser rechts, mein Kompagnon zog ohne Warnung von links nach rechts rüber, mein Vorderrad, sein Hinterrad, zack, Pech. Ein leicht aufgeschlagenes Knie und eine Art Bluterguss am linken Handballen. Nicht ganz ideal, wenn man den noch 100 km zum Abstützen braucht. Aber dennoch ging es ohne weitere Probleme zur ersten Verpflegungsstation kurz vorm Fuss des Hauptanstiegs. Alles top organisiert, sicher ein Dutzend Freiwillige, ordentliche Sachen zu essen, und vor allem Wasser. Nun waren es schon fast 30 Grad, und es ging in den Anstieg. Direkt 1.5 km mit über 9% in der prallen Sonne. Ich merkte schnell, dass hier nicht meine Beine, sondern der Kreislauf das Problem sein könnte, und das war es dann auch im Schlussanstieg. Ich versuchte, immer weiter stur meinen Rhythmus zu treten, und überholte tatsächlich ständig Leute aus der vorderen Gruppe, die sich vielleicht etwas optimistisch eingeschätzt hatten. Aber die letzten 3 km hatten dann noch einmal 9%, und einen km vor der Passhöhe musste ich kurz absteigen. Ich war sehr frustriert, wollte aber nicht auf Anschlag gehen und riskieren, dass meine Beine explodieren. Am ganzen Anstieg waren immer wieder Camper, Familien, Leute, die einen mit Namen (neben der Rennnummer vermerkt) anfeuerten, das setzt echt ungeahnte Kräfte frei.
Oben dann gab es den absoluten MVP unter den Rennverpflegungen, nämlich Brühe. Nach 3h Fahrt kann man die süssen, kohlehydratreichen Riegel und Isodrinks nicht mehr sehen, und dann sowas Salziges, Reichhaltiges, einfach Verdauliches Natürlich Fotos gemacht und auf die Abfahrt gefreut. Denn nun ging es 12 km bergab. Erstmal schön die Karlsruher Flachlandtiroler abgezogen und die grössere Erfahrung im Abfahren ausgenutzt
Mir ging es bis dahin, natürlich nach der Pause, körperlich ziemlich gut. Ich merkte allerdings, dass ich Fliegengewicht in der Ebene mit meinem non-aero-Gravelbike im Nachteil war und einer aus der Gruppe wirklich Probleme zu bekommen schien, und abreissen lassen musste. Nach kurzer Absprache entschieden wir uns, dass ich ihn im Windschatten zur nächsten Verpflegungsstation ziehen würde. Waren ziemlich lange 20 km, aber so konnte ich quasi aktiv regenerieren. Soweit das bei mittlerweile 33 Grad möglich war. Bei km 105 dann noch einmal ordentlich Cola getankt und dann hatte ich irgendwie richtig Bock. Ziel quasi schon vor Augen, habe ich dann noch einmal richtig versucht zu ziehen, 27er-Schnitt vorgelegt und war ne knappe Stunde später im Ziel, zusammen mit meinem fertigen Tandempartner.
Letzten Endes standen 5:13 Fahrtzeit auf der Uhr, ein Schnitt von 24.5 km/h. Mein Ziel, in der oberen Hälfte meiner Leistungsgruppe 22-25 km/h, war mehr als erfüllt und ich überglücklich, aber komplett leer. Trotz 7L Wasser durstig. Gratisnudelportion weggehauen, trotzdem hungrig. Und mein linker Handballen mittlerweile bockhart. Nur mein Hintern hatte sich irgendwie nicht gemeldet. Hatten die Ibu bei km 80 doch funktioniert.
Fazit? Die 4h Schlaf haben mich vielleicht in der Spitze ein paar Prozent gekostet, waren aber nicht dramatisch. Das Event war wirklich top organisiert, an jeder Kreuzung haben Freiwillige den Verkehr bei Bedarf angehalten, natürlich wurde immer fleissig im Vorbeifahren gedankt, die Verpflegungsstationen hatten genug Essen und die Strecke war top gescoutet. Ich empfehle, ich empfehle. Aber nächstes Mal würde ich es von Anfang an mit jemandem zusammen planen, dann macht es sicher noch viel mehr Spass.
(aus irgendeinem Grund fehlen bei mir fast 100 hm in der Aufzeichnung )
Säntis noch in weiter Ferne links
Passhöhe
Glückliches F. Allerdings ist das nicht mein Rad, nur schnell fürs Foto geliehen