Ich sollte vor dem Reisebericht vielleicht vorwegschicken, dass Fernreisen eigentlich nicht mein Ding sind. Ich träume nicht davon, in jede noch so weit entfernte Ecke der Welt zu reisen. Ich komme schlecht mit Jetlag klar, ich mag das Gefühl nicht, mich nicht verständigen zu können. Flugreisen sind eh doof. Ich habe auch keine riesige kulturelle Affinität zu Japan über Manga, Anime oder Ähnliches.
Aber Anfang Juni kamen zwei Sachen zusammen: Ich wusste, dass Ende Sommer meine (ungewollte) freie Zeit enden würde. Und ich wusste, dass meine Frau vier Tage in Nagoya auf einer Konferenz sein würde.
Deswegen entschlossen wir uns etwa zwei Wochen vorher, dass ich doch mitfliegen würde. Ich weiß, es klingt albern, eine Reise, auf die andere Jahre hinplanen, von null auf hundert innerhalb weniger Tage zu planen.
Es folgt also der Reisebericht eines Reisemuffels, der mit Frau leicht improvisiert durch Japan gegurkt ist.
Die Route:
(Ankunft Osaka) 4 Nächte Nagoya → 1 Nacht Inuyama → 2 Nächte Hiroshima → 3 Nächte Kyoto → 3 Nächte Tokyo (Abflug „Tokyo“ Narita, siehe auch München-West )
Sicher nicht revolutionär, Nagoya+Inuyama waren durch die Konferenz vorgegeben. Bei Lufthansa von München nach Osaka für einen Fuffi pro Flug mehr Beinfreiheit und Komfort erkauft, letzterer war aber auch dem Umstand geschuldet, dass etwa 90% Japaner mitflogen. Ich war noch nie auf einem so angenehm leisen Flug. Niemand brüllt (außer kleinen Kindern), keiner drängelt, keiner breitet sich ungefragt auf andere Sitze aus.
In Osaka angekommen erstmal die komplette Reizüberflutung, denn in Japan wird einfach alles mit Werbungen, Schildern und Hinweisen vollgepflastert. Aber eigentlich unproblematisch, weil an jeder Ecke hilfreiches Personal steht. Auf nach Nagoya, einmal normaler Zug, einmal Shinkansen. Wieder inmitten tausender wuselnder Japaner stumpf den Hinweisschildern folgen, um vom regulären zum Shinkansen-Bahnhof zu kommen. Im Shinkansen direkt weggepennt. Ist vom Reisekomfort vergleichbar mit einem 1. Klasse-ICE, nur eben in pünktlich. Und wieder halten die meisten schön ihre Schnauze.
Ab jetzt kommt noch mehr wall of text, ich hab das mal in Sektionen unterteilt
Nagoya, Inuyama, Hiroshima, Miyajima
In Nagoya waren wir, perfekt zum Akklimatisieren (in jeder Hinsicht), in einem westlichen Konferenzhotel untergebracht. Nagoya selber sieht man an, dass große Teile im 2. Weltkrieg zerstört wurden und es der Toyota-Hauptsitz ist. Will heißen viele große Boulevards, vergleichsweise auto-zentriert, nicht sehr viele Attraktionen. Das Schloss (eher Burg) sieht von außen cool aus, kann aber nicht betreten werden. Die Residenz ist auch hübsch, aber wie so viele Dinge in Japan rekonstruiert. Die Japaner beantworten die Schiff des Theseus-Frage mit einem lauten Ja! Wir waren sehr dankbar, uns an einen fließend Japanisch sprechenden, ortskundigen Ami-Kollegen hängen zu können, um eine schnelle Einführung in ein paar der gängigsten Gebräuche zu kriegen. Und vor allem Restaurant-Empfehlungen. Karaage Hitsumabushi :
Nach Nagoya gab es eine organisierte Tour nach Gifu (nettes altes Schloss, phänomenale Aussicht auf die japanischen Alpen), dann Omakase und eine Führung durch eine Messerschmiede. Sicher bisschen Touri-Nepp, aber ich freue mich trotzdem, jetzt zwei vor Ort handgeschmiedete Messer zu besitzen.
Dann mein erstes Highlight: Inuyama. Dort steht das älteste noch intakte Samurai-Schloss prominent auf einem kleinen Hügel, allein der Säulengang dort hoch war wunderbar. Dann stellten wir fest, unser Onsen-Hotel am Fuß des selbigen Hügels mit Teehäuschen war ein Luxushotel und hatte so gutes Tempura und Matsusaka Sukiyaki. Dieses hauchdünn geschnittene Fleisch, kurz durch die Brühe und Ei gezogen, wodurch es eine cremige Konsistenz bekommt, ich fang schon beim Schreiben an zu sabbern…
Am nächsten Tag ging es weiter nach Hiroshima, der längste Reiseabschnitt, aber mit Shinkansen wieder problemlos machbar. Einfach zum Bahnhof laufen, am Automaten buchen, in spätestens 15 min kommt der nächste Shinkansen, ab dafür. Hiroshima hat mich wirklich beeindruckt. Das Friedensmuseum hat selbst die lärmigsten Amis sprachlos zurückgelassen. Japans Rolle wird etwas ausgeklammert, aber das schiere menschliche Leid des Kriegs, puh… Und es wirkt noch stärker, wenn man anschließend durch den Friedenspark spaziert, umgeben von all den neuen Häusern, und am Atomic Dome ankommt. Danach mussten wir uns erst einmal stärken, mit Okonomiyaki. So ein simples, aber so großartig. Das könnte ich echt jeden zweiten Tag essen. Wenige Kilometer vor Hiroshima liegt die heilige, komplett bewaldete Insel Miyajima, den meisten vermutlich wegen des Tors zum Itsukushima-Schrein ein Begriff:
Der ganze Schrein liegt direkt am Wasser und war proppenvoll. Direkt davor laufen auch halbwilde Rehe herum, die man aber, anders als in Nara, nicht füttern darf. Der Schrein ist schön, aber für uns war der Weg hoch zu den buddhistischen Tempeln attraktiver. Sofort viel ruhiger, eine riesige Tempelanlage halb im Wald.
Wir entschlossen uns, die insgesamt 500hm zum höchsten Gipfel zu erklimmen, bei 30 Grad und 200% Luftfeuchtigkeit erstaunlich anstrengend. Aber der Ausblick oben ist großartig, von Hiroshima über all die kleinen Inselchen bis hin zum offenen Meer im Süden. Ab Hiroshima haben wir mehrmals nicht vorher nach Restaurants gesucht, sondern einfach durch die Fenster geguckt und spontan entschieden - viele Restaurants sind eh nicht auf google maps.
Kyoto
Kyoto
Nun fehlten noch die zwei großen Touri-Städte Kyoto (mit Nara) und Tokyo. Östlich von Osaka waren direkt deutlich mehr westliche Touristen unterwegs, aber alles noch wirklich im Ramen (das ist witzig wegen der Nudeln) Es hatte abends wieder ein bisschen geregnet, wodurch die alten gepflasterten Straßen in tolles Licht gebadet waren. Hätte ich Kamera und Talent, man hätte tolle Fotos schießen können. Am nächsten Tag dann das Gewaltprogramm: Einmal die großen Tempel und Schreine im hügeligen Osten Kyotos. Es waren feuchtheiße 34 Grad, kein Wölkchen am Himmel, hügelauf und ab, wir waren am Ende körperlich echt platt. Aber es war mir alles scheissegal. Ich weiß nicht recht, warum, aber an vielen Orten hatten wir ganze Schreine alleine für uns, konnten in den wunderschönen Gärten die Atmosphäre genießen. Ein absoluter Traum.
Nur entlang der etwas größeren Straßen war viel los, viele ziemlich rüpelhafte und laute chinesische Paare im gemieteten Geisha-Kostüm inkl. Fotograf. Etwas befremdlich. Große Mengen kalter grüner Tee und Sushi hielten uns aufrecht. Und zwischendurch auch Kaffee und Croissants. Starbucks ist dort an jeder Ecke (praktisch für Notfall-WLAN), aber es gibt auch wirklich gute kleine Cafés mit beinahe ausschließlich französischem Gebäck.
Abends marschierten wir durch die Straßen und sahen dieses Restaurant. Eine Theke, zwei Köche, höchstens 12 Gäste, nur eine Person sprach Englisch. Hatten nur einen 40 Minuten-Slot, aber meine Fresse, war das gut. Japanisch-Französisch-Italienisch Fusion, wir haben um unser Leben gegessen. Und am nächsten Abend 22 Uhr gewartet, damit wir meinen Geburtstag auch noch dort feiern konnten und den Rest der Gerichte probieren. So, so gut. Ordentlich Shochu Sours getrunken (das kann man wegsaufen wie nix!), trotzdem für 2 Personen insgesamt vielleicht 70-80 Euro gezahlt.
Am letzten Morgen in der glühenden Hitze noch eine Führung durch den Kaiserpalast. Sehenswert, aber es zeigte mir vor allem, dass man ohne sachkundige Führer ziemlich viel verpasst und oft etwas sinnlos rumstolpert.
Kyoto hat mir wahnsinnig gut gefallen, durch die strengen Bauregelungen haben die meisten Häuser nur zwei Stockwerke, ein deutlich „menschlicherer“ Maßstab als die sonst üblichen Wolkenkratzer.
Nara
Die alte Kaiserstadt mit den freilaufenden Hirschen, von Kyoto gut zu erreichen. Auch hier gibt es zwei, drei wirklich herausragende, beeindruckende Tempel. Dort war es mir schon fast zu voll, weil neben den regulären Touristen auch noch dutzende Schulklassen unterwegs waren. Vor allem aber fand ich im Vergleich zu Miyajima die Hirsche, nein eigentlich die Touris, etwas nervig. Man kann spezielle Kekse kaufen und verfüttern, weswegen alle paar Meter kreischende Touristen von Hirschen bedrängt wurden. Vielleicht war ich aber auch nur wegen des leichten Katers und heißen Wetters etwas cranky. Insgesamt ist der riesige Park, in dem die Schreine und Tempel liegen, recht weitläufig. Auch sehr schön, aber vielleicht etwas weniger speziell als z.B. Miyajima oder einige der kleineren Anlagen in Kyoto.
Tokyo
Tokyo
Zuletzt eine sehr schöne Bahnfahrt, teils am Ozean entlang, in die Hauptstadt. Extra so reserviert, dass wir linkerhand den Fuji sehen sollten…und er lag komplett in den Wolken. Anscheinend seit Tagen. Zum Glück kein Stop in Hakone wie @Cyrus. Für den letzten Teil der Reise hatten wir uns vorgenommen, kein sightseeing mehr zu machen, sondern einfach rumzugondeln, zu shoppen und die Atmosphäre zu genießen. Dafür ist Tokyo einfach perfekt. Wir waren in der Nähe von Shiodome, keine spektakuläre Gegend, aber mit einem gut angebundenen Bahnhof. Nightlife vor unserer Haustür interessiert uns eh nicht, der Ausblick vom Hotel war beeindruckend. Ich kann die nächsten zwei Tage eigentlich nicht gut beschreiben, natürlich haben wir uns dann doch den Palast von außen sowie den Meji-Schrein angeguckt, war leider Schrein Nummer 10000 für uns. Aber der Park war wunderschön. Ansonsten sind wir aber rumgelaufen, waren in vielen coolen Läden in Harajuku, haben den beeindruckenden weltläufigen Luxus in Ginza und das organisierte Chaos im Bahnhof Shinjuku bestaunt. Und natürlich weiterhin sehr, sehr gut gegessen, mehr oder minder systematisch meine Lieblingsspeisen im Original durchprobiert (die winzige Gyoza-Absteige am letzten Abend ). Ich habe auch den ehemaligen Großmarkt geliebt. Sehr bekannt, sehr touristisch, aber die dreierlei Thunfisch-Sashimi! Der Kobe-Spieß! (ok, das war da schon der dritte).
Sehr zufrieden stiegen wir am letzten Morgen in den Zug, der einen, vorbei am wirklich gigantischen Tokyo Skytree, innerhalb etwa einer Stunde von Tokyo zum Flughafen „Tokyo“-Narita bringt. Der Flug zurück nach Zürich war dann etwas weniger ruhig als der Hinflug, immer diese Westler