Na gut, dann wollen wir mal.
Schiedsrichter in Deutschland werden vom DFB-Bereich bis in die Amateurspielklassen anhand des sogenannten „Beobachtungs- und Coachingbogens“ bewertet und am Ende auch verglichen. Der Bogen bewertet den Schiedsrichter in sechs verschiedenen Kategorien, die teilweise wiederum Unterkategorien haben. Jede (Unter)kategorie besteht dabei auch noch aus mehreren einzelnen Kriterien, die bei Bedarf bewertet werden können. Dabei hat jedes Kriterium einen sogenannten Faktor im Bereich von 1-3, der die Wichtigkeit des entsprechenden Kriteriums beschreibt und dafür sorgt, dass Abzüge in wichtigen Kriterien schwerwiegender sind als in eher unwichtigen.
Jedes Kriterium wird anhand einer Skala von 1-6 bewertet, wobei 1 der schlechteste und 6 der beste Wert ist. Es wird nicht jedes Kriterium zwingend in jedem Spiel beurteilt. Oft passiert in einem Spiel schlicht nichts, was das entsprechende Kriterium „füttert“. Der Standard-Einstiegswert in jedem Kriterium ist die 4. Multipliziert mit dem Faktor, also der Wichtigkeit des Kriteriums, ergibt sich hieraus eine Punktzahl für dieses konkrete Kriterium. Legt man nun diesen „Startwert“ 4 bei allen Kriterien an und multipliziert mit den entsprechenden Faktoren, dann kommt man bei der sogenannten „Einstiegsnote“ raus. Die ist 240. Note ist dabei zwar das übliche Wording, „Punktzahl“ würde es aber besser beschreiben. Damit startet der Schiri bei Anpfiff. Wenn in einem Spiel nun, rein hypothetisch, gar nix passiert und die Spieler sich 90 Minuten den Ball hin und her passen, dann ist das am Ende auch die Abschlussnote.
Wenn der Schiedsrichter etwas falsch macht, dann zieht der Beobachter das auf der Skala entsprechend ab. Wie weit er dabei nach unten geht liegt an der Auslegung des Beobachters und auch an der Schwere des Fehlers. Ein kleiner Fehler ohne große Folgen bedeutet vielleicht eine Abwertung von 4 auf 3 in der Skala, ein komplett falscher Elferpfiff heißt, dass es direkt auf die 1 geht. Hierfür gibt es einen über 80-seitigen Beobachterleitfaden, der relativ genau beschreibt, was wie weit abgewertet werden darf und muss. Je nach dem, wie hoch der Faktor dieses Kriteriums ist, kann das also in der Endbewertung richtig Punkte kosten. Wenn der Schiri z.B. ein klares Fußvergehen im Mittelfeld übersieht, dann ziehe ich das im entsprechenden Kriterium ab. Dazu schaue ich in den Leitfaden und schaue, was dort zum Kriterium „Fußvergehen“ steht:
Da es sich hier um ein „normales Foul“ im Mittelfeld gehandelt hat, gehe ich auf die 3. Bei einem Faktor von 2 macht das also zwei Punkte in der Endnote für den Schiri aus.
Andersrum funktioniert das natürlich auch. Wenn der Schiedsrichter Dinge besonders gut löst, dann kann ich als Beobachter mit der Note auch nach oben gehen auf 5 oder sogar 6 in einem Kriterium. Hierfür muss er aber „den Erwartungsbereich übertreffen“. Das ist natürlich allein dem Spielraum des Beobachters überlassen, was nun Erwartungsbereich ist und was nicht und wofür man aufwertet und wofür nicht.
Diese Sechs Kategorien sind:
1. Spielentscheidende Einzelszenen
Hier werden, wie der Name schon sagt, besonders schwerwiegende Entscheidungen noch einmal gesondert behandelt und auch gewertet. Aufgrund der Wichtigkeit dieser Entscheidungen sind alle Kriterien hier mit dem Faktor 3 bewertet. Zu den spielentscheidenden Szenen zählen
- Strafstöße gegeben/nicht gegeben
- Feldverweise gegeben/nicht gegeben
- Tore anerkannt/aberkannt
Das ist die Kategorie, wo man tendenziell am meisten verlieren kann als Schiedsrichter. Hier ist nämlich nicht nur der Faktor mit drei sehr hoch, sondern eine Fehlentscheidung, also z.B. ein zu unrecht gegebener Elfer oder ein anerkanntes Tor, das nicht hätte zählen dürfen, führen dazu, dass das Kriterium direkt mit 1 bewertet wird. Der Abzug ist also 3 (von 4 auf 1) mal 3 (Faktor 3) Punkte. Insgesamt neun Punkte Abzug. Hinzu kommt, dass eine Szene, die in Kategorie 1 gewertet wird, mindestens noch in einer anderen Kategorie gewertet werden muss. Es bliebt also nicht bei den neun Punkten Abzug, sondern es kommen oft noch weitere Abzüge hinzu. Um das zu verbildlichen ein Auszug aus meiner letzten Beobachtung:
Der Schiri hat einen für mir sehr klaren Strafstoß wegen Halten am Trikot nicht gegeben. Daher bin ich hier im Kriterium Strafstöße auf die Note 1 gegangen, was ihn netto am Ende neun Punkte kostet.
Da es sich bei dem übersehenen Vergehen um ein Halten, also ein Vergehen im Bereich des Oberkörpers gehandelt hat, musste ich auch hier einen Abzug vornehmen. Und weil es eben eine schwerwiegende Fehlentscheidung war, auch hier direkt auf Wertung 1. Da die OKV nur einen Faktor von 1 haben, kostet es hier weitere drei Punkte netto. Das sind somit schon zwölf Punkte für eine Fehlentscheidung.
Ich könnte die Szene sogar noch in einem dritten Kriterium werten, das habe ich in diesem Fall aber nicht gemacht, da mir der Abzug insgesamt ausreichend erschien.
2. Spielleitungsqualität und Spielverständnis
Diese Kategorie setzt sich noch aus den Unterkategorien „Spielverständnis“ und „Zweikampfbewertung“ zusammen. Hier wird z.B. beurteilt, ob der Schiedsrichter angemessen auf den Spielcharakter reagiert hat, inwiefern er ggf. seine Linie angepasst hat, wenn das Spiel es verlangt hat (z.B. ein bisschen kleinlicher pfeifen, wenn das Spiel droht, sonst aus der Bahn zu laufen). Zu Spielverständnis zählen auch Vorteil und Antizipation sowie der richtig gewählte Eingriffszeitpunkt. Die Zweikampfbewertung ist noch einmal aufgeteilt in Fuß- und Oberkörpervergehen sowie Handspiel, Simulation und Spielfortsetzungen, also ob er auch immer die korrekte Spielfortsetzung gewählt hat.
3. Disziplinarkontrolle
Auch das eine sehr wichtige Kategorie. Hier werden die persönlichen Strafen, also Karten, eingeordnet. Neben den korrekten gelben, gelb-roten und roten Karten wird hier auch bewertet, wie diese präsentiert wurden und wie der Schiedsrichter Ansprachen und Ermahnungen gesetzt hat. Auch dazu ein Beispiel aus einer vergangenen Beobachtung:
Hier hat der Schiedsrichter im Gegensatz zum Kollegen von oben gut und richtig gehandelt. In einer Szene war zu entscheiden, ob es eine Notbremse war oder nicht und er lag imo richtig. Da hier eine gewisse Komplexität in der Situation war, ist das dann auch mit einer Aufwertung zu belohnen.
Leitfaden sagt bei schwieriger Abgrenzung DOGSA oder SPA auf die 5, also werte ich die Kategorie „Verwarnungen angemessen“ mit 5. Bei einem Faktor von 2 bringt diese Aufwertung dem Schiri also netto 2 Punkte aufs Konto. Dazu hat der Kollege im Beispiel noch eine Rudelbildung gut aufgelöst, was immer anspruchsvoll ist und dafür ebenfalls eine Aufwertung von mir bekommen.
4. Persönliches Auftreten
Die Kategorie für die „Soft Skills“. Wie kommuniziert er mit Spielern? Wie berechenbar ist er? Verhält er sich manchmal besonders clever oder doof? Setzt er Entscheidungen auch gegen Widerstände glaubhaft durch? Solche Sachen. Hier hat fast alles den Faktor 1, weil es für die gesamte Spielleitung nicht das Wichtigste ist, aber eben doch ein bisschen ins Gewicht fallen soll.
5. Fitness und Stellungsspiel
Kondition, Geschwindigkeit im Sprint, Dynamik, etc. Hier lege ich natürlich bei einem jungen Schiri, der gerade frisch aufgestiegen ist, einen ganz anderen Maßstab an als bei einem fast 40 jährigen, der Situationen ganz anders löst. Aber laufen können muss jeder. Diese Abzüge sind auch vergleichsweise schwerwiegend. Beim Stellungsspiel wird nochmal unterschieden zwischen Stellungsspiel im laufenden Spiel, also wie sich der Schiedsrichter positioniert um dem Spiel folgen zu können und sich möglichst immer in eine gute Position bringt, um alles bestmöglich bewerten zu können, und Stellungsspiel bei Standardsituationen. Da gibt es eigentlich klare Vorgaben, wo man wann zu stehen hat, daher muss man da als Beobachter selten was abziehen.
6. Teamarbeit
Hier fließt die Zusammenarbeit mit den Assistenten ein. Das finde ich persönlich immer relativ schwierig zu beurteilen, weil zur Teamarbeit ja immer zwei gehören. Deshalb bin ich hier eher zurückhaltend was Auf- und Abwertungen angeht.
Am Ende steht dann, je nachdem wo der Schiri gut oder schlecht war und wo der Beobachter auf- oder abgewertet hat, eine Schlussnote, die er für dieses Spiel bekommt. Ich glaube die schlechteste, von der ich bisher gehört habe, war eine 203. Die beste eine knappe 260. Die Ansage ist eigentlich immer „wenn du die 240 vom Einstieg nach Hause bringst, dann kann dir am Ende der Saison nix passieren“. Der Schnitt liegt glaube ich aktuell in Hessen so um die 241, was in meinen Augen aber auch der viel zu engen Beziehung zwischen Beobachtern und Schiedsrichtern geschuldet ist. Mein persönlicher ist so um die 237 aktuell.
Je nach Liga und Alter hat ein Schiedsrichter in Hessen pro Saison 3-6 Beobachtungsspiele. Aus diesen Noten wird dann ein Schnitt errechnet und es gibt eine Tabelle. Und dann steigen in der Theorie die besten auf und die schlechtesten ab. Weil aber das Argument „Perspektive“ aka Alter leider viel zu sehr gewichtet wird in den Gremien, ist man ab einem gewissen Alter „unaufsteigbar“. Leider. Bei uns sind letzte Saison die SR 1, 5 und 9 aus dem Ranking der Region auf die Verbandsliste aufgesteigen, weil alle anderen dazwischen „keine Perspektive nach oben“ mehr hatten.
Damit ihr mal so ein Gefühl dafür bekommt, welche Note was wert ist: mit 239 Durchschnitt ist man in allen hessischen Ligen abgestiegen letzte Saison. Für den Aufstieg waren je nach Liga 243 bis sogar 244 Punkte im Schnitt nötig. Wenn man sieht, dass ein einziger falscher Elferpfiff dich über 10 Punkte kostet, dann ist das natürlich fatal. Soll aber natürlich auch so sein. Aber theoretisch bedeutet das auch: wenn ich jedes Spiel auch nur ein Foul übersehe und nix zählbares auf der Habenseite verbuchen kann, dann steige ich ab. Da ist der Druck schon groß, selbst in Liga 5-7.
Für die Schiris kommt erschwerend hinzu, dass du nicht in jedem Spiel auch zwingend eine gute Note holen kannst. Es gibt sogenannte „Verliererspiele“, wo es einfach keine besonders komplexen Szenen gibt mit denen du dich auszeichnen kannst. Da musst du dann echt einfach schauen, dass du deine 240 heim schaukelst und vielleicht nen Beobachter hast, der weiß, dass das ein undankbares Spiel war und dir ne kleine Mitleidsaufwertung für die Gesamtnote gibt.
Ach so, Thema Punkteschnitt und Ranking noch: in der Bundesliga gibts das nicht mehr. Da wird nicht sportlich auf- und abgestiegen. Warum weiß ich auch nicht, aber ist leider so.