Die relative Attraktivität der Hamas, die ihr trotz hohen Risikos, dabei draufzugehen, kontinuierlich eine ausreichende Zahl neuer Rekruten zuführt, steht nicht im luftleeren Raum, sondern speist sich aus der Wut und Verzweiflung der Bevölkerung des Gazastreifens, die durch die israelische Blockade zu einem Leben in Elend und vollkommener Perspektivlosigkeit verurteilt ist und die täglich sieht, wie der nun von offen völkischen Rechtsradikalen regierte israelische Staat im Westjordanland als direkte Kolonialmacht auftritt und jedes Jahr dutzende bis hunderte ihr unterworfene, rechtlose Palästinenser*innen konsequenzlos umbringt.
Der israelische Staat begeht nun als Reaktion auf den Terror der Hamas gerade schwerste Kriegsverbrechen und unterzieht die in Geiselhaft der Hamas befindliche Bevölkerung des Gazastreifens einer unterschiedslosen Kollektivbestrafung. Die vom israelischen Verteidigungsminister offen verkündete Totalblockade des Gazastreifens ist nicht nur moralisch, sondern auch juristisch glasklar eines der schwersten Kriegsverbrechen und gleicht der Strategie, die das Assad-Regime in Syrien zur Niederwerfung der islamistischen Rebellen bspw. in Aleppo anwandte. Auch das massive Bombardement von Wohngebieten im Gazastreifen mit bereits tausenden Toten und Verwundeten und der Einsatz von Phosphormunition sind nach jeder Definition des Begriffs eindeutige Kriegsverbrechen. Sollte es tatsächlich zu einer großen Bodeninvasion des dicht besiedelten Gazastreifens kommen, würde das wahrscheinlich zivile Todesopfer im Zehntausenderbereich bedeuten. Während solche massiven Kriegsverbrechen im Westen zu einer allgemeinen Ächtung des Assad-Regimes führten, als es diese im Kampf gegen islamistische Milizen anwandte, gibt es politisch und medial kaum hörbare Einwände dagegen, dass der israelische Staat sie im Kampf gegen eine andere islamistische Miliz anwendet.
Die Hamas wiederum akzeptiert diese massiven palästinensischen Zivilopfer nicht nur, sondern provoziert sie bewusst. Sowohl allgemein in dem Sinne, dass diese einkalkulierten Zivilopfer auf palästinensischer Seite bei Planung des Angriffs bereitwillig in Kauf genommen wurden, sondern auch ganz konkret dadurch, dass die Hamas ihre militärischen und Kommandoeinrichtungen ganz bewusst in dicht besiedelten Wohnvierteln platziert, um die umgebende Bevölkerung als menschlichen Schutzschild zu nutzen bzw., wenn sie doch angegriffen werden, deren Leichen propagandistisch zu verwerten. In Bodenkämpfen hindert die Hamas auch regelmäßig Zivilist*innen, aus dem Kampfgebiet zu fliehen, um sie als Schutzschild einzusetzen. Die Zivilbevölkerung des Gazastreifens ist für die Führung der Hamas eine reine taktische Verfügungsmasse.
Was momentan noch völlig untergeht: Dieser Krieg droht, wenn er sich lange fortsetzt und der NATO-Block Israel in einer etwaigen Ausweitung unterstützt, weit über Israel/Gaza hinaus zu einem internationalen Großkrieg zu werden. Die Hisbollah hat vom Libanon aus bereits kleine Angriffe auf israelisches Gebiet in Solidarität mit der Hamas begangen, auch die Armee Assads verschoss ein paar symbolische Soli-Granaten, und viel wichtiger: Der Iran wird beschuldigt, in die Vorbereitung der Hamas-Massaker involviert gewesen zu sein. In Verbindung mit der Tatsache, dass die USA ein Flottengeschwader ins östliche Mittelmeer verlegen (wo die IDF es gewiss nicht brauchen, um mit der Hamas fertigzuwerden), könnte das bedeuten, dass die US-amerikanische und die israelische Regierung erwägen, den Hamas- Angriff als Vorwand zu nutzen, die seit Langem in der Luft liegende Abrechnung mit dem Iran durchzuziehen.