Das Kawai war großartig. Leider war es mit seinem 130cm Höhe viel zu laut für unsere Wohnung und den Raum selbst, sodass ich es leider zurückgegeben musste.
Nach langer Bedenkzeit und unzähligem Testen habe ich nun ein Yamaha NU1X Hybrid Klavier gekauft. Das ist ein Instrument mit einer vollständigen, echten Klaviermechanik, aber digitaler Klangerzeugung. Die Lautsprecher klingen fantastisch. Und das obwohl es „nur“ vier sind - das NU1X klingt aber authentischer als andere Digitalpianos mit teilweise bis zu acht Lautsprechern. Es scheint, dass es da eher auf die Qualität der Lautsprecher ankommt als die Zahl.
Das schöne ist - also neben der sehr klavierähnlichen Optik, dem authentischen Spielgefühl, den guten Lautsprechern, den guten Samples (für Spielen mit Kopfhörern hat Yamaha sogar binaurale Samples aufgenommen) - dass das Klavier ein eingebautes Audio Interface hat. Dadurch kann ich das Instrument einfach mit einem USB-Kabel mit meinem Laptop verbinden und habe Zugriff auf unzählige virtuelle Instrumente, wie das großartige Pianoteq, kann per MIDI spielen und die Klänge direkt zurück an das Klavier senden und über die Lautsprecher oder den Kopfhörerausgang in Echtzeit abspielen.
Das besondere an Pianoteq: Bei Digitalpianos wird zur Soundwiedergabe i.d.R. auf Samples zurückgegriffen - d. h. ein Instrument wird mal mehr, mal weniger aufwendig aufgenommen. Es wird also jede einzelne Ton in verschiedenen Beschleunigungen (= Laustärken), mit und ohne Dämpferpedal, ggfs. mit anderen Pedalen, sowie kurz/gezupft gespielt (Staccato) aufgenommen, am besten natürlich auch in jeder beliebigen Kombination mit anderen Tönen. In der Regel werden mehrere Mikros verwendet, manche näher am Instrument, andere weiter weg, um den Raumklang einzufangen. Dem ganzen sind natürlich gewisse Grenzen gesetzt. Während beim Spielen auf einem richtigen Instrument Tasten auf einem bestimmten Kontinuum beliebig schnell oder langsam gespielt werden können, ist das auf einem Digitalpiano natürlich nicht möglich. Heutige Digitalpianos besitzen 128 (0-127) MIDI Output-Stufen, d. h. je schneller eine Taste gespielt wird, desto höher der MIDI Output. 128 ist eine ganze Menge - das Problem ist, dass viele samplebasierte Klänge beispielsweise nur ganze drei oder fünf verschiedene Dynamiklayer pro Taste aufnehmen (statt der theoretisch möglich 127), also von leise zu laut quasi piano, mezzopiano, mezzoforte, forte, fortissimo, und der Rest wird nur durch Lautstärke differenziert, obwohl sich auf einem akustischen Instrument natürlich mit jedem Unterschied Unterschied im Anschlag nicht nur die Lautstärke eines Tons, sondern auch das Timbre ändert. Man spielt bei Digitalpianos also i.d.R. ein unzureichend aufgenommenes Instrument ab. Das ist einer der Gründe, warum sich das Spielen auf Digitalpianos meist so undynamisch und leblos anfühlt. Da sind natürlich auch viele weitere Gründe: die schier unzähligen Möglichkeiten, wie beliebige Töne mit beliebig vielen anderen in unterschiedlicher Intensität und Spielart, mit und ohne Pedal(e) miteinander agieren, und wie die Resonanzen im Instrument klingen, kann man einfach kaum aufnehmen.
Begrenzt wird das meist durch die Rechenleistung und Speicherplatz: Gute Sample-Libraries brauchen sehr viel Platz und einen leistungsstarken Rechner. Es exisitieren auch extrem aufwendige Sample Libraries wie die VSL Synchron Pianos. Beispielsweise haben sie den Bösensorfer Imperial Flügel aufgenommen: Über 4000 Samples pro Taste(!) mit über 100 velocity layern, 20.000 Samples pro Mikrofonposition (11), insgesamt 237.000 Samples bei knapp 300 GB Größe. Kostenpunkt: 540€. Für ein virtuelles Instrument.
Empfohlene Systemvoraussetungen:
- Windows 10 (letztes Update, 64-Bit), Intel Core i7/i9/Xeon
- macOS 10.12.6 (oder höher), Intel Core i7/i9/Xeon
- 32 GB RAM
Das kann ich mit meiner MacBook Air 2013 Krücke mit 4GB Ram und 2-Kern I5 mit 1,3 Ghz natürlich vergessen. Und das ist auch der Grund, warum selbst die Samples bei den heutzutage besten Digitalpianos von Yamaha und Kawai immer noch mehr schlecht als recht klingen und vor allem irgendwie leblos und undynamisch sind. Ein weiterer Nachteil von Samples: Einmal aufgenommen, hat man nur noch sehr beschränkte Möglichkeiten, den Klang der Samples zu verändern. Letztlich kommt es bei Samples auf die Qualität des Instruments, die Stimmung des Instruments, den Raum, die Mikros und deren Position, die Aufnahmetechnik, und den Aufwand bzw. die Auflösung an, mit der ein Instrument aufgenommen wird.
Nun: Pianoteq von Modartt. Pianoteq, entwickelt vom Institut für Mathematik am INSA in Toulouse, verfolgt einen gänzlich anderen Ansatz: Die Klavierklänge werden nicht aufgenommen und abgespielt, sondern vollständig in Echtzeit modelliert. Also im Prinzip handelt es sich um einen komplett aus dem Ruder gelaufenen, super sophisticated Synthesizer für Pianos. Es lassen sich alle denkbaren klangbeeinflussenden Parameter am Instrument selbst und außerhalb des Instruments modellieren und manipulieren, was unendliche Möglichkeiten eröffnet. Dadurch können auch tatsächlich alle 127 MIDI velocity outputs genutzt werden und die Interaktionen zwischen den Tönen und Resonanzen werden in Echtzeit modelliert. Man kann zwischen den unzähligen, von Modartt selbst erstellten Presets für die vielen, sogar von den Herstellern lizenzierten Konzert- oder Salonflügeln von Steinway, Bechstein, Blüthner, Steingraeber, Petrof oder Grotrian-Steinweg, unzähligen historischen Flügeln, Hammerflügeln und Cembali sowie ein paar von Pianoteq erstellten Klavieren und Flügeln wählen. Oder wie ein Klaviertechniker selbst Hand anlegen, die Stimmung des Instruments ändern, die Intonierung durch Veränderung der Härte des Filzes der Hammerköpfe ändern, das Alter bzw. den Zustand des Instruments bestimmen oder die Spielart durch Veränderung der velocity curve verändern. Oder das Instrument selbst verändern, die Größe und Krümmung des Resonanzbodens, die Länge der Saiten oder auch den Raum, in dem der Flügel steht, die Art, Anzahl und Position der Mikrofone. Und wirklich noch vieles mehr. Seit Pianoteq 7 kann man sogar verschiedene Instrumente miteinander morphen. Das alles wird in Echtzeit modelliert, fühlt sich dadurch unglaublich lebhaft und dynamisch an, wie ein echtes Instrument, klingt absolut fantastisch, spielt sich ebenso nuanciert und das beste: Ist ca. 50 MB groß und mein altes MacBook kommt damit bestens zurecht. Pianoteq Standard mit 3 Instrumenten kostet bspw. 249€. Paradoxerweise klingen für mich die Samples der realen aufgenommenen Flügel von bspw. Kawai und Yamaha wesentlich digitaler und lebloser als das sehr authentisch klingende modellierte Pianoteq.
Die Kombination aus der echten Klaviermechanik des Yamaha NU1X und dem dynamischen Klang und Spielgefühl von Pianoteq ist großartig und lässt mich manchmal vergessen, dass ich an einem digitalen Instrument sitze. Auch über die integrierten Lautsprecher klingt Pianoteq großartig, was bei vielen Instrumenten ohne Audio Interface, wo man das Signal per Line-In Klinke ins Digitalpiano bringt, wohl nicht der Fall sein soll. Hier noch ein Beispiel (bin nicht ich, da bin ich noch sehr weit weg von, sowas zu spielen )
Ok. Das war jetzt ein extrem nieschiger und nerdiger Post. Vielleicht fand das dennoch jemand interessant. Schließlich habe ich herausgefunden, das mein Prof. und Chef auch Pianoteq bentuzt und begeistert ist! Manchmal ist die Welt doch klein.