Der Politik Thread - Archiv 2020—24

Ja, solche Aufstiegsgeschichten lesen sich immer toll. Nur warum sollte es so ein harter Weg sein? Warum müssen deine Verwandten all das auf sich nehmen und auf so viel verzichten während mittelprächtig talentierte und motivierte Oberklassekinder über die Verbindungen der Eltern und deren Ressourcen alles in der halben Zeit schaffen?
Das Ziel sollte es doch sein, dass alle die selben Chancen haben. Und nicht, dass einige mit wahnsinnigem Aufwand an die Startlinie des Rennens kriechen während andere schon längst gestartet sind. Ok, ich hasse die Rennmetapher, aber du weisst, was ich meine.

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Erklär mir doch mal bitte, was es mit dieser Schreibweise der " lInKeN® Ecke" auf sich hat?

Davon ab ist das faktisch vielfach belegt. In 10 Sekunden googlen zu „Studie soziale Aufstiegschancen“ finden sich Massenhaft Artikel und Studien dazu, nur mal Beispielhaft sei dieser Artikel hier genannt:
Sozialer Aufstieg wird seltener - Hans-Böckler-Stiftung (boeckler.de)

Das ganze ist also nicht irgendeine Hypothese, sondern Realität in Deutschland. Um aus dem verlinkten Artikel zum Abschluss mal ein Zitat zu bringen:

„Im internationalen Vergleich zeigt sich: In kaum einem anderen Land hängen die Chancen so stark von der Herkunft ab wie hierzulande. „Das ist vor allem mit der sehr hohen Bildungsungleichheit zu erklären“, schreibt Spannagel. Bildung sei in Deutschland „stark vom sozialen Hintergrund des Elternhauses abhängig – und damit die soziale Position, die die Kindergeneration später einnimmt“. Auch das Schulsystem funktioniere wie eine große Sortiermaschine, die Kindern ihren späteren Platz in der Gesellschaft zuweist.“

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Gerade Liberale, die immer rumseiern, dass sich Leistung lohnen solle müssten sich dafür einsetzen, dass z.B. nicht vererbt werden darf. Das sind ja Zuwendungen von Dritten, ja geradezu Transferleistungen.

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In den USA war es ja lange Zeit so, dass mit genau dem Argument Erbe relativ hoch besteuert wurde. Bis dann irgendwann das geniale (aus Sicht der Reichen) Framing der „Death Tax“ kam. Wie wiki sagt:

Well-known Republican pollster Frank Luntz wrote that the term „death tax“ „kindled voter resentment in a way that ‚inheritance tax‘ and ‚estate tax‘ do not“.

Das würde dann schön flankiert mit armen Farmern im mittleren Westen, die wegen der Erbsteuer ihre Höfe verkaufen müssten. Da konnten sich die Befürworter noch so sehr den Mund fusselig reden, dass man dafür schon wirklich viele Millionen schwere Höfe haben müsse, die Freibeträge wären schon bei einigen Millionen, das Bild ist einfach zu stark.

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@GentleGiant, dass die Umweltbedingungen, das soziale und kulturelle Kapital, in der ein Mensch aufwächst wird, den entscheidenden Faktor für den zukünftigen akademischen (und meist auch sozialen und finanziellen) Erfolg für den Werdegang eines Menschen darstellen, ist ein extrem robuster, durch jahrzehntelange Forschung in verschiedenen Feldern und Ländern, sowohl durch Querschnittsstduien als auch langfristig angelegten Längschnittstudien gestützter empirischer Befund. Das kannst du dir nicht einfach so wegwünschen. Das heißt jedoch gar nicht, dass man als Individuum gar keine Beeinflussungsmöglichkeit hat (wer sagt denn auch sowas, außer um wie du populistische Scheinargumente hervorzubringen?).

Ich bin Sohn von zwei kroatischen Einwanderern. Mein Vater selbst kommt aus einer Bauernfamilie und hat einen Abschluss vergleichbar mit einem Hauptschulabschluss; meine Mutter aus einer Gastronomen-/Bauernfamilie und hat einen sehr guten Gymnasialabschluss. Sie durfte jedoch nicht ihrem Wunsch nachgehen Jura zu studieren, da sie zum Arbeiten in ihrer Familie eingespannt wurde.

Beide kamen in den frühen 90er nach Deutschland um Arbeit zu finden und haben mit Familie (meine Onkel und Tanten) ein kroatisches Restaurant übernommen; der klassiche „Jugo“ von nebenan in Berlin eben. Für die Übernahme mussten sie einen Kredit aufnehmen. Da sie beide 24/7 gearbeitet haben und sich zu der Zeit niemanden leisten konnten, der auf mich (damals 4 Monate alt) aufpassen würde, wurde ich zu meiner Oma nach Kroatien geschickt, wo ich ein Dreiviertel Jahr gelebt habe. Auf Dauer wollten das meine Eltern nicht, also haben sie ein kroatisches Kindermädchen damit beauftragt auf mich (und später meine erst zwei, dann drei Geschwister) aufzupassen. Meine Mutter hat kaum mehr (und in manchen Monaten weniger) verdient, als wir dem Kindermädchen an Gehalt zahlen mussten.

Meine Mutter hat, da sie in der Küche ohne großen Kundenkontakt arbeitete, und das jeden Tag (jeden - kein Wochenende, keine Feiertage, nur drei Wochen Heimaturlaub im Jahr) nie deutsch gelernt. Mein Vater durch den Kontakt zu Kunden und Zulieferfirmen, Steuerberater, etc. schon, zumindest mündlich. Zu Hause wurde jedoch nur kroatisch gesprochen. Ich konnte, bis ich mit 4/5 in den Kindergarten kam, kein Deutsch. Zum Glück habe ich das irgendwie ohne Zuhilfenahme von externen Förderungen extrem schnell aufholen können und konnte schon zur Einschulung nicht schlechter Deutsch als meine Klassenkamerad*innen.

Da meine Vater jeden Tag von ca. 09:00 bis 22:00 arbeitete und meine Mama von 12:00 bis 22:00, haben wir freizeitlich oder kulturell nie etwas unternommen. Ich war nie mit meinen Eltern im Theater, bei einem Konzert, im Museum, im Zoo oder Aquarium, im Freizeitpark, haben uns Berlin angeschaut oder waren irgendwo essen. Ein einziges mal war ich mit meinem Papa nachmittags, als wenig im Restaurant los war, im Kino. Wir haben Shrek geschaut.

Wir lebten in einem engen Haushalt, ich habe mir mein Zimmer erst mit einem, dann zwei Brüdern geteilt. In der Schule hatte ich Freunde, durfte aber fast nie etwas mit denen unternehmen. Zu Hause waren meine Eltern nie und es war ihnen unangenehm, dass wir a) in so beengten Wohnverhältnissen wohnten und b) das Kindermädchen auch kein Deutsch konnte. Ich habe einmal einen Geburtstag mit Klassenkamerdinen und Freunden gefeiert, meine Sechsten. Zu Geburtstagen, zu denen ich eingeladen wurde, durfte ich oft nicht gehen. Wir konnten uns oft Geschenke nicht leisten und meine Eltern sagten, dass die Freunde und Eltern dann auch erwarten, dass wir selber eine Geburtstagsfeier machen und sie eingeladen sind. Ich habe meine Freizeit vor allem vor RTL2 und Nintendo Spielekonsolen verbracht. Mit meiner Cousine und meinen Cousin, den Kindern meiner Tante, die auch im Restaurant arbeitete, durfte ich mich jedoch täglich treffen. Ich wollte anfangen in einem Fußballverein zu spielen. Wir könnten uns das nicht leisten, sagte meine Papa.

Meine Eltern konnten mir natürlich kaum in der Schule helfen. Meine Mama in Mathematik bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe, aber das wars natürlich. Trotzdem war ich sehr gut in der Schule. Meine Eltern, insbesondere meine Mama, hatten da sehr hohe Erwartungen und waren sehr streng. Sie kam nachmittags kurz aus dem Restaurant nach Hause (die Wohnung und das Restaurant waren nur einige Gehminuten voneinander entfernt) um sich meine Hausaufgaben anzuschauen. Wenn ich sie gemacht habe, ihr mein Schriftbild aber zu unordentlich war, zerriss sie sie und ich durfte sie nochmal machen. Wenn ich eine Note nach Hause gebracht habe, die schlechter war als eine 2, bekam ich richtig Ärger. Ich wurde angeschrien und beleidigt, ich sei undankbar, ich sei nichtsnützig und nichts wert; sie würden alles für mich und meine Geschwister und unsere Zukunft tun, ich würde alles wegwerfen. Ich habe in der 3. Klasse in Musik beim Vorsingen eine 4+ bekommen und habe in der Schule geweint.

Ich bekam eine Gymnasialempfehlung und durfte ab der 6. Klasse ins Gymnasium. Der Umstieg fiel mir schwer, ich hatte aber niemanden, mit dem darüber reden konnte - meine Eltern zuallerletzt. Ich bekam plötzlich keine 1en und 2en mehr, sondern 4en und 5en. Ich versteckte alle Arbeiten und fälschte die Unterschriften. Ich wollte nicht angeschrien und beleidigt werden.
Meine Mutter entdeckte einen zusammengefalteten Test mit gefälschter Unterschrift und alles kam raus.

Mit der Zeit gewöhnte ich mich an das höhere Niveau und aus den 4en und 5en wurden erst 3en und 4en, dann 2en und 3en. Als ich 13 war, hörte unser zweites Kindermädchen auf und meine Eltern fanden keine Nachfolge. Zu der Zeit waren wir Kinder 13, 10, 8 und 3. Meine Eltern arbeiteten nach wie vor von morgens bis abends jeden Tag im Restaurant. Wir waren nun allein und ich musste jeden Tag auf meine Geschwister aufpassen. Darauf achten, dass alle nach der Schule Ihre Hausaufgaben machen, sich nicht bekriegen, wir zu Abend essen, alle ins Bett gehen. Den Haushalt machen. Und meine Schulaufgaben. Mit Freunden konnte ich mich nicht kaum treffen.
Ich musste ab meinem 13. Lebensjahr regelmäßig im Restaurant aushelfen, wenn viel los war. Häufig, wenn ich kaputt nach der 8. Stunde der Schule nach Hause kam. Irgendwann, so ab 16, durfte ich jeden Sonntag von 11:30 bis 21:00 Uhr arbeiten.

Auch als ich etwa 16 war, war der zeitjüngste ja dann auch 13 der jüngste 6. Da hat sich die Lage für mich etwas entspannt, sodass ich ich mich erstmals regelmäßig mit Freunden treffen konnte, zu Hertha gehen, Essen und Trinken, ins Kino. Das Leben war schön. Mein jüngerer Bruder musste nun leider mehr Verantwortung im Haushalt und auch im Aushelfen im Restaurant übernehemn. Ich habe mein Abitur mit 1.4 gemacht, danach ein FSJ angeschlossen und bin kurz davor mein Psychologiestudium mit dem Master abzuschließen. Ich habe noch, bis ich 23 war, an jedem Feiertag und und jeden Sonntag im Restaurant aushelfen müssen (neben meinem gewöhnlichen Nebenjob). Alle anderen Auseinandersetzungen und Hindernisse, die sich mir und meinen Geschwistern vor allem kulturell noch gestellt haben, erspare ich euch (meine Eltern haben bis heute noch nicht verkraftet und verstanden, dass ich „schon“ mit 23 mit meiner Partnerin zusammengezogen bin bzw. überhaupt ausgezogen bin).

Meine drei Geschwister haben Abitur gemacht. Meine Schwester ist kurz vor dem Abschluss ihres Lehramtsstudiums, ein Bruder hat eine Ausbildung beendet, der andere angefangen.
Ich könnte mir jetzt wie du darauf einen darauf herunterholen, dass ich und meine Geschwister es trotz dieser widrigen Bedingungen „geschafft“ haben und es als „Beweis“ dafür nehmen, dass an all diesem sozialistischen Gerechtigkeitsunsinn gar nichts dran ist und es nur auf die Mühe ankommt, die jemand investiert.

Oder einfach anerkennen, dass wir die statistischen Ausreißer sind, und sehr viele Kinder von Einwanderern (natürlich nicht nur von denen!), die unter ähnlichen schwierigen Bedingungen großwerden, es eben deswegen deutlich, deutlich schwerer haben als Kinder von einkommensstarken Eltern mit hohem soziokulurellen Kapital, Abitur und Ausbildung oder Studium zu schaffen. Streitest du das ab? Findest du es verwerflich, diese unterschiedlichen Lebensrealitäten als grundsätzlich verschiedene Voraussetzungen anzuerkennen und zu versuchen, es Menschen wie mir und meinen Geschwistern von Kleinauf etwas leichter zu machen, eine größere Teilhabe an der Gesellschaft zu haben und höhere Bildungschancen zu ermöglichen, oder haben wir das nicht verdient, weil wir das auch ohne die Hilfe geschafft haben?

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tl;dr

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Spannender Input. Tatsächlich gab es ja selten so viel positive Bewertungen des Wahlprogramms in der Sache (klimafreundlichstes etc.) auch von überregionalen Medien und Portalen. Aber, dass Inhalte überwunden werden müssen, weiß nicht nur Die Partei. Ein Gesicht. Eine klare Richtung. Unterkomplexe Weltanalysen gehen gut.

Ich finde auch ästhetisch und medial macht Die Linke wenig her. Dazu kommt das bissig Geifernde einfach in so Runden, wo es darum geht, wer soll was bewegen, nicht so gut an. Da will man Visionen. Auch, wenn man damit zum Arzt lieber gehen sollte, wie Volksmund höhnt. Als kleinere Partei und als linkere vermutlich noch etwas mehr ob der Besetzung der Vorstände in den großen Zeitungen hat man wenig große Aufmerksamkeit und Platz in den Artikel für die eigenen Ideen. Wenn dann dieser Platz für persönliche Streitereien genutzt wird, dann bleibt eben nichts hängen in der Bevölkerung. Schon irre, da die Grundlage (Welt kapott, System kapott) eine solide Bank ist. Aber el hotzo teilen und links wählen - dazwischen liegen Welten und da schlagen sie keine Brücken hin. Hab letztens gesehen, dass es eine Abgeordnete gibt für Feministische Politik, die einen florierenden Instagram-Account hat von den Linken - da gibt’s dann aber nur Sharepics, kein Bild von ihr, kaum was mit Parteikrams. Also wenn man sich selbst versteckt, dann klappt linke Politik. In den Timelines.

Das Argument mit der Sprache, ist ja ein wenig Wagenknecht-Logik. Ich glaube das schließt sich nicht aus, denn bei den jungen Leuten müsste Die Linke ja auch enttäuscht sein. Glaube einerseits progressive Nervdebatten führen zu unbeliebten Themen wie Klimawandel auch für Geringverdiener und Sprach- und Denkweisen, die weniger diskriminieren braucht es. Aber eben der aaaale Gewerkschafter und Kohlekumpel braucht andere Inhalte zum Festhalten. Und die Balance dazwischen ist schwierig, gerade weil man trotzdem das Gefühl braucht, dass es im Ganzen um eins geht: Das Schweinesystem umkrempeln. Robin Hood. Wasweissich.

Diese beiden Ungerechtigkeiten auseinanderdividieren lassen und gegeneinander aufbringen, statt auf dasselbe Problem zurückführen, ist dann eben schlecht zugelassen, weil man sich zu viel um sich selbst dreht. Und andererseits wollen viele auch eher lieber belogen werden. Ehrlich mit Problemen umgehen (siehe auch Baerbock vgl. Scholz), sagen, dass man für irgendwas noch keine konkrete Lösung hat oder, dass es dazu mehrere Meinungen innerhalb der Gruppe gibt - wird alles öffentlich ausgeschlachtet, hinterlässt Chaos. Abgesehen davon, dass Die Linke das auch nicht macht.

Für die Stammwählerschaft im Osten sind sie dann eben doch zu sehr Teil des Systems (in vielen Regierungen und trotzdem ist noch nicht Paradies auf Erden) und viele wollen eben einfach weiterhin den Denkzettel verteilen. Die Wähler will man dann irgendwie mit Sahra oder halbgaren Aktionen behalten, wie die Klimaskepsis in den Gewerkschaftsteilen und andererseits ist man dadurch nicht progressiv genug für junge Leute, die Bock haben auf mit 260 in ein neues System und 130 auf der Autobahn. Im Wahlprogramm ist dann zwar viel drin, aber nach Schlammschlacht und begleitet von lauten Einzelpersonen die das Gegenteil fordern (oder dass man die eigene Partei nicht wählen soll :uyeah: ).

Jetzt kommt hinzu, war man sonst mit SPD und Grüne immer gemeinsam gegen die Konservativen, gibt’s da jetzt klare Abgrenzung, weil man jetzt nicht mehr mit den Schmuddelkindern spielen will. In Berlin rückt die Ampel statt R2G jetzt auch in den Fokus. Ich sehe da nicht die notwendigen Änderungen, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und teilweise auch den Inhalten, aber das könnte dadurch dann ganz düster werden für die nächsten Wahlen.

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@Eddie

Ich dachte, du hättest einfach vergessen, auf Senden zu klicken, weil das „Eddie antwortet…“ nicht verschwand. Stattdessen kommt hier ein Roman :ronaldo:

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alter schwede…ich kriege da beim Lesen irgendwie Gänsehaut und finde es wahnsinnig anheimelnd und „gute laune machend“, was du und deine Eltern an Unterstützung gegeben haben.
Jetzt mal ganz ausklammernd, dass der Grund für das Nötigwerden ein großes Problem unseres Systems ist.
Aber das wollte ich mal loswerden, dass das irgendwie eine richtige „Feelgood“ Geschichte ist.

Mal interessehalber gefragt:
Gibt es eigentlich ein „System“, o.Ä., das genau solche Fälle lösen würde?
Oder habe ich da gerade ein Geschäftsmodell gesehen bei Euch?
Privatier A möchte sein Geld in Studenden B investieren und Ihr/ihm ein konzentrierteres Studium ermöglichen. Daher unterstützt Prvatier A den/die Studenten finanziell und, wenn es keine altruistischen Gründe sind, zahlt Student/in das Geld + Summe X zurück.
Ich meine, selbst, wenn deine Frau dann 6.000 Euro statt 3.000 Euro zurück gezahlt hätte, aber von mir aus in Raten, wäre das ihr wohl möglich gewesen und wir hätten ein weiteres Renditemodell für wohlhabende Menschen.
Oder ist da „nur“ der Staat, der Bafög zahlt?

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Starke Leistung von dir und deinen Geschwistern :+1::+1::+1: sehr schön geschrieben dass ganze

Es gibt auch Studentenkredite, aber an die kommt natürlich auch nicht jeder ran.

Ach weisst du, weder ich noch meine Eltern würden sich da jetzt als Retter oder so bezeichnen. Es hätte sicher auch andere Wege gegeben, wie @Martyr auch sagt, das war einfach der unbürokratischste und schnellste Weg. Meine Frau wäre so oder so ihren Weg gegangen, sie ist viel zu hartnäckig :ronaldo:
Meine Mutter meinte damals sehr pragmatisch „was dir jetzt wie eine riesige Menge Geld vorkommt, wird dir mit den Möglichkeiten, die du in ein paar Jahren dadurch hast, winzig erscheinen.“ Und genau so war es auch.

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und hierzu auch: WOW! Und DANKE! für diesen umfassenden, aber auch sehr intimen Bericht, der ans Herz geht und doch so erhellend, weil Realitäten aufzeigend ist.
ich fühle mich gerade als Wohlstandskind, obwohl mein Vater nur Sozialhilfe hatte und wir teilweise keine tapete an der wand hatten, ich aber alles tun und lassen durfte, wie ich wollte.

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Selbstverständlich streite ich die unterschiedlichen Lebensrealitäten nicht ab, wer macht das denn ernsthaft ? Sicher kann dein Werdegang exemplarisch dazu dienen, zu veranschaulichen, dass es eben doch möglich ist nach „oben“ zu kommen. Aber wie @das_f schon geschrieben hat, sollte es Kindern einkommensschwacher bzw. bildungsferner Familien ermöglicht werden, diesen Weg „einfacher“ und mit mehr Unterstützung gehen zu können, das steht doch außer Frage.

Ob man sich bei der gewünschten Erneuerung des Aufstiegsversprechens der sozialen Marktwirtschaft eher bei den Methoden von Linke, SPD, Grüne, FDP oder CDU verortetet, ist dann halt Entscheidung des Einzelnen. bzw. dessen politischer Einstellung. Der FDP nehme ich das Bestreben nach besserer Bildung in Verbindung mit Digitalisierung und das Schaffen von mehr Chancengleichheit am meisten ab.

Und wenn ich beispielsweise sehe, wie die SPD hier in Berlin seit gefühlten Jahrzehnten im Bereich der Bildung herummurkst, wären die für mich vor dem Hintergrund allein schon nicht wählbar gewesen.

Sind die genauso einfach und unbürokratisch zu kriegen, wie 3,50-Euro-Bafög, wofür man gar noch bis zur Bewilligung auf Pump leben muss und das ggf. komplett wieder zurückzahlen darf - idealweise zu einem Zeitpunkt, an dem man noch keine Chance hatte ausreichend Geld zusammen zu bekommen?

Ganz ehrlich: so viele Hilfen (auch bspw. Hilfen zur Beantragung von Hilfen :ugaga:) die es auf dem Papier geben soll, so unpraktikabel und teilweise unfair bleiben sie weiterhin.
Zudem geht es auch immer davon aus, dass ein Studium immer zu einem höheren Einkommen führt. Warum kann man kluge Leute nicht einfach dabei unterstützen ihren Wissensdrang zu erfüllen?!

Ja lel … frag mal meine Bekannten, wie (finanziell-) reich sie bspw. durch ihr Dramatherapie-Studium oder den Master in Naturschutz geworden sind.

Dass wir diese schlauen Leute in deren Positionen benötigen? Keine Frage.
Ob die sich das Studium ohne elterlichen Hustle und bereits frühes Sparen hätten leisten können?!
Nein, definitiv nicht. Da wäre immer wieder der Druck des Marktes gewesen und am Ende hätten die auch irgendeinen anderen Scheiß studiert, der vor allem Kohle abwirft…

P.S.: Ist nicht gegen dich gerichtet @Martyr - mich interessiert das wirklich und scheinbar hat’s direkt auch was bei mir getriggert :smiley:

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Also grundsätzlich ist Bafög für mich eine tolle Sache gewesen und ohne das hätte ich nicht studieren können.
Meine Eltern sind/waren „einfache“ Angestellte, mein Papa war zudem jahrelang unfreiwillig von Arbeitslosigkeit betroffen. Insgesamt haben wir damit finanziell zur unteren Mittelschicht gezählt und ich hatte das Glück dadurch den Bafög-Höchstsatz beziehen zu können.
Damit und mit dem Kindergeld, was mir meine Eltern überlassen haben, war es für mich ohne große finanzielle Anstrengung möglich zu studieren. Inklusive WG-Zimmer in einer eher teuren Stadt und ohne ausufernden Nebenjob oder zusätzliche Kredite. Am Ende musste ich knapp Hälfte des Bafögs zurückzahlen (was ich aus anderen Gründen zügig tun konnte, aber auch die Ratenzahlung wäre langfristig finanzierbar gewesen), der Rest (immerhin eine kleine fünfstellige Summe) war geschenkt.

Natürlich gehören aber die Hürden angepasst (vor allem für Leute bei denen die Eltern zwar mehr verdienen aber es auch nicht auf der hohen Kante haben) und auch die ganze Bürokratie dahinter war ein Grauß.

Eine Exfreundin von mir ist nach dem Abitur in eine Bank rein, hat dort 15.000 Euro Kreditsumme bewilligt bekommen, Auszahlung gestaffelt auf 5 x 3.000 Euro jährlich, Rückzahlung beginnt zwei Jahre nach der letzten Rate. Humane Konditionen.
Ihre Mutter ist erwerbsunfähig und bewohnt eine wertlose Immobilie, keine weiteren Sicherheiten.

Das ist keine staatliche Förderung, das ist ein ganz normaler privatwirtschaftlicher Kredit.

Das war auch nicht als Antwort auf das Problem der Ungleichheit bezogen, sondern auf more-hahns Geschäftsidee, dass wirtschaftlich Handelnde anderen ein Studium finanzieren könnten und dafür Zinsen bekommen und ob schon jemand auf dieses Modell gekommen sei.

Der neuste Post von Lindner ist spannend.

Ich bin der erste Akademiker in der Familie, mein Vater kam aus einer Familie mit 7 (!) Geschwistern, da hieß es nach der Hauptschule erstmal Lehre machen und Geld verdienen, erst später konnte er sich zum Technischen Zeichner fortbilden. Meine Mutter hatte nach der Realschule als Sekretärin gearbeitet, wegen den Kindern 10 Jahre Pause gemacht und ist dann wieder eingestiegen. Wir waren, würde ich sagen, klassische Mittelschicht, einmal im Jahr in Urlaub (Deutschland), Doppelhaushälfte, kein Leben im Luxus aber auch nie Existenzangst.

Schule viel mir immer leicht, zuhause wurde immer schon viel gelesen, Matherätsel, Brettspiele, da hatte ich keine Probleme, daher hab ich auch nie eine Benachteiligung gegenüber Akademikerkindern empfunden, auch wenn die nach Amerika flogen während wir mit dem Opel Kadett in den Schwarzwald fuhren, ich kannte es ja nicht anders.

Und auch nach dem Abi war es keine Frage, dass ich studieren kann, BWL sowieso nicht, aber auch bei Medizin hätte es mit dem NC-System wahrscheinlich ohne lange Wartezeit geklappt. Und da muss man wahrscheinlich auch mal das deutsche Bildungssystem loben, ich habe das gesamte Studium über nur die paar Euro Studiengebühren (inkl. ÖPNV-Ticket) gezahlt, dazu noch Bafög bekommen, ich konnte billig Sportarten wie Tennis machen und umsonst im Sprachenzentrum Chinesisch lernen und mein Englisch verbessern. Das ist schon der Hammer. In Amerika hätte ich wahrscheinlich nie studiert, da ich mir diesen Schuldenberg nie hätte ans Bein binden wollen.

Also ja, ich finde in Deutschland gibt es durchaus weiterhin die Chance für Leute aus der Unter- und Mittelschicht, sozial aufzusteigen. ABER ich finde, das hat immer noch viel mit dem Elternhaus zu tun. Kinder, die zuhause die richtige Unterstützung erfahren, gefördert werden, Eltern haben, zu denen sie aufschauen können, haben alle Möglichkeiten. Aber ich maße mir nicht an, zu behaupten, dass dies für andere Kinder auch gilt. Kinder in Armut sind weiterhin klar benachteiligt, auch wenn Laschet meinte, man müsse nur dafür sorgen, die Eltern aus Hartz IV rauszuholen, dann wird das schon (Idiot). Auch bei Kindern mit Migrationshintergrund hört man ja immer wieder die Stories, dass sie wesentlich seltener die Empfehlung fürs Gymnasium erhalten, insgesamt benachteiligt werden weil man ihnen weniger zutraut. Ganz zu schweigen von Migranten mit Sprachproblemen. Da ist glaub ich schon noch einiges im Argen. Aber grundsätzlich würde ich wie gesagt das deutsche System nicht verteufeln wollen, die Möglichkeit, mit geringem finanziellen Aufwand einen akademischen Grad zu erreichen ist gegeben und nicht selbstverständlich. Traurig wiederum ist, dass aufgrund des perversen Niedriglohnsektors eine Hochschulreife fast schon Voraussetzung ist, um sozial aufsteigen zu können.

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https://twitter.com/amsterdamalie/status/1443094573597831171?s=20

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